Ausführlicher

Vorausschickend ist zu sagen, dass die Darstellung einer Behandlung nur einen Teil des Behandlungsgeschehens wiedergeben kann. Denn ein wesentlicher Teil der therapeutischen Wirksamkeit ist der Therapeut selbst. Streng genommen ist die Person des Therapeuten sogar der entscheidende Faktor – das Therapieverfahren ist zweitrangig. Davon bin ich überzeugt. Jeder hat seinen eigenen therapeutischen Stil, seine ganz eigene Art und Fähigkeit Menschen erreichen, Inhalte zu vermitteln, Menschen hinzuführen zu dem, was in ihnen zum Heilungsprozess führt. Ich bin sicher, dass ein Therapeut einen wesentlichen Teil dieser Fähigkeit entweder hat oder nicht, dass man dies nicht lernen kann.
Dieser wichtige Anteil des Therapiegeschehens ist leider nicht schriftlich vermittelbar, auch diesen kann man nur in der Behandlung selbst erfahren.

Nun zu dem Teil, der vermittelbar ist:

Wie unter Warum Psychotherapie gesagt, gibt es zwei Aspekte oder Teile des Leidens: Einen bewussten, als Symptom erlebt und einen Anteil, der dem Bewusstsein üblicherweise nicht zugänglich ist – weil der innere Aufpasser es noch schafft, diesen, natürlich unangenehmen Teil im Verborgenen zu halten. Meine Erfahrung über die Jahre meiner Arbeit ist, dass eine Behandlung, die sich rein auf das Symptom bezieht, nicht zu tief greifender und dauerhafter Veränderung führt. Dabei kann das Symptom zeitweise weniger werden oder gar verschwinden. Das Symptom (etwa die Panikattacken) taucht irgendwann aber wieder auf, oder der unbewusste Teil der Problematik sorgt für neue Symptome.
Auch Behandlung, die zwar auf den verborgenen Teil des Leidens abzielt, dies aber nur mit Gespräch und Analysieren versucht, habe ich als nicht wirklich effektiv erlebt. Solange der denkende, analysierende Kopf von den zugehörigen Emotionen getrennt ist, keinen Zugang dazu hat, kann logischerweise keine Veränderung erreicht werden – auch wenn man endlos analysiert.

Um eine Befreiung vom Leiden zu erreichen, hat es sich als zwingend nötig erwiesen einen Zugang zu dem verborgenen Teil des Problems zu erreichen, damit dieser verdaut, verarbeitet werden kann.

Darauf zielen auch viele Therapieformen ab, wobei mehr oder weniger provokative Methoden eingesetzt werden, um an verborgene, unbewusste Erlebensweisen heranzukommen. Für mich hat sich dabei das Problem gezeigt, dass der innere Aufpasser meistens cleverer ist als die Methoden. Das sieht dann so aus, dass zwar einiges auftaucht, aber eben nicht alles (beispielsweise nicht die Gefühle in ihrer eigentlichen Intensität). Mit der Brechstange, sozusagen, geht gar nichts. Die Mechanismen des inneren Aufpassers werden subtiler und feiner, jedoch mit gleich bleibender Wirkung, was eine dauerhafte Veränderung weiterhin verhindert.

Um den verborgenen, unbewussten Teil des Leidens aufzulösen ist es eben wesentlich nötig die Mechanismen des inneren Aufpassers fassbar und erlebbar werden zu lassen, mit denen Erlebensweisen (unangenehme Erinnerungen, Emotionen, und dabei vor allem die Intensität der Emotionen) vom Bewusstsein fern gehalten werden. Dann wird es möglich diese Mechanismen und ihre spürbaren Auswirkungen (etwa Spannung, Druck in/an verschiedenen Körperbereichen, Schwindel, Übelkeit, merkwürdige Körperempfindungen, Gedankenrasen, Unruhe, Nervosität, Hitze- oder Kälteempfinden) zu erfassen, was nach und nach zur Abschwächung der Mechanismen führt, die abgedrängten Erlebensweisen können zunehmend erlebbar und verarbeitet, verdaut werden.

In der Weiterentwicklung meiner Arbeit habe ich gefunden, dass die einfachste und zugleich effektivste Arbeitsweise in einer bestimmten Lenkung von nach innen gerichteter Wahrnehmung und Aufmerksamkeit besteht.

Das Thema Aufmerksamkeit findet unter dem Einfluss meditativer Praktiken seit einiger Zeit Eingang in den Psychotherapiebereich, wo sie aber nicht im Sinne meiner Arbeit eingesetzt wird. Die Anwendung von Achtsamkeit,  Wahrnehmung, Bewusstheit bedeutet in meiner Arbeit eine Ausrichtung derselben nach innen bei zunehmendem Loslassen der Kontrolle (was geschieht da in mir?, was ist da los? etc.), bei abnehmender Bewertung (ist das gut?, richtig? etc.) und – sehr wichtig – zunehmend sich entwickelndem Vertrauen in das, was von alleine geschieht – bei gleichzeitiger Abnahme der Angst vor dem Unangenehmen. Dieses Ausrichten der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit ist im Grunde ein sehr einfacher Vorgang, keine komplizierte Übung, wird aber dadurch schwierig, dass wir alle ein großes Problem mit Loslassen der Kontrolle haben, da wir sehr kopflastig sind und meinen, mit Kontrolle und Planung alles im Griff zu haben. Das stimmt für viele Problemlösungen des alltäglichen Lebens auch, im Prozess der inneren Veränderung steht diese Haltung aber eher im Weg.

Die Nutzung der natürlich gegebenen Wahrnehmung, Bewusstheit, Aufmerksamkeit ist also keine Übung im herkömmlichen Sinne, in der etwas Vorgegebenes angewandt wird. Es handelt sich um eine loslassende Öffnung nach innen, in der man zunehmend lernt, dem Innenleben den Raum zu lassen, so dass es tun und lassen kann, was es will. Wenn sich ein angenehmer Zustand einstellt und wahrnehmbar wird, nimmt man möglichst ohne Kontrolle und Nachdenken darüber und ohne Bewertung diesen Zustand möglichst voll und ganz wahr. Wenn ein unangenehmer Zustand oder Erlebensinhalt auftaucht, bleibt die Wahrnehmung genauso offen, wobei die Angst vor dem Unangenehmen immer mehr losgelassen werden kann.

Damit wird es möglich die vielfältigen Mechanismen des inneren Aufpassers nach und nach wahrzunehmen. Dadurch lösen sich diese Mechanismen ebenfalls nach und nach. Der verborgene Teil des Leidens wird zugänglich und verarbeitbar.

Einfache Beispiele für das Wirken des inneren Aufpassers, die jedem einigermaßen zugänglich sein können, sind der berühmte Kloß im Hals, in dem unterdrückte Tränen und das zugehörige Gefühl sitzen, oder das Zähneknirschen und Kieferbeissen, womit Gefühle festgehalten werden.

Letztlich ist der therapeutisch bedeutsame Aspekt die befreiende und heilsame Erfahrung, dass alle Gefühle, auch beispielsweise tiefe Verlustangst und Verlassenheitserleben, Verzweiflung, Trauer, Schmerz, Verletzung, Enttäuschung etc. immer und für jeden Menschen aushaltbar sind. Diese Erfahrung macht man aber erst nach und nach und in voller Ausprägung erst dann, wenn man es geschafft hat die als sehr unangenehm erlebten Gefühle komplett zuzulassen und durch dieses Erleben hindurch gegangen ist. Hier braucht es den erfahrenen Therapeuten (auch mit genügend Erfahrung in der Arbeit an sich selbst) da der Versuch, alleine den Zugang zu finden, meistens an der Angst vor den Emotionen scheitert.

Die Vorstellung alleine, dass als sehr unangenehm erlebte Gefühle hochkommen können, macht manchen Menschen (und manchen Therapeuten auch) große Angst und sie halten es für unmöglich, sich dem zu stellen. Der innere Aufpasser hat hier schon effektiv gewirkt. Tatsächlich ist es so, dass diese Angst unbegründet ist, da es sich um einen Prozess handelt, der seine Zeit braucht. Der innere Aufpasser muss nach und nach loslassen können. Dies geschieht nur im fortschreitenden Abbau der Angst vor den unangenehmen Erlebensweisen. Dieser Prozess verläuft eben genau ohne “Gewalt”, ohne Druck, ohne Überforderung. Der innere Aufpasser wird zunehmend unnötig. Und zwar durch die Erfahrung, dass alle Gefühle – auch unangenehme – nicht von Dauer sind und keinen Schaden anrichten.

Bei jeder Form von psychischem Leiden gibt es bekannterweise nicht bewusste Anteile. Als Symptome sind heutzutage sehr verbreitet: Neben den erwähnten Panikattacken, andere Formen von Angstzuständen, Depressionen und psychosomatische Beschwerden. Als nicht bewusste Anteile können vorkommen: Belastende Erinnerungen und Emotionen, wie etwa Verlustängste und Verlassenheitserleben, unbewältigte Trauer und Traurigkeit, unterdrückte Aggression, oder gar traumatische Erfahrungen mit ihren speziell schwierigen Gefühlen von Ohnmacht und Ausgeliefertsein.

Bei allen möglichen Arten des Leidens ist es entscheidend, bei dem Versuch den Zugang zu den nicht bewussten Anteilen zu erhalten, die Intensität der Emotionen ganz zu erfassen, zu erleben. Man muss sozusagen an der Wurzel des Problems ankommen.

Hier nun ein Beispiel für diesen Prozess des zunehmenden Aufsteigens eines bis dahin verborgenen unangenehmen Gefühls: Zunächst kann etwa ein Kloß im Bauch spürbar werden, dieser steigt durch dort gehaltene Wahrnehmung, Aufmerksamkeit mit der Zeit hoch, dann entsteht im Brustkorb ein Druck, wo wiederum durch die beschriebene Art der Wahrnehmung eine Öffnung spürbar wird, im weiteren Hochsteigen stellen sich etwa Spannungen in Nacken und Schultern ein, nach wiederum gelingendem Loslassen geht es weiter nach oben, wobei dann etwa Schwindel (Vernebeln des Bewusstseins als letzter Mechanismus des inneren Aufpassers) auftreten kann, bis dieser sich letztlich löst und das Gefühl im Kopf  – und erst dort – als Gefühl wahrgenommen wird. Das dann gegebene Auftauchen des Gefühls bringt alles an zugehörigem Wissen mit, das therapeutisch gesehen wichtig ist: Zugehörige Erinnerungen, Umstände und Zusammenhänge. Und dies eben ohne die Notwendigkeit etwas zu analysieren.

Diese beispielhafte Beschreibung ist in Zeitrafferperspektive gehalten und stellt eine Vereinfachung dar. In der wirklichen Arbeit geht natürlich alles nicht so glatt, es kann eine Zeit lang dauern, bis an der einen oder anderen Stelle eine Öffnung entsteht und es weiter geht.

Der Effekt eines gelungenen Therapieprozesses ist in jedem Fall, dass man sich näher bei sich, mehr im Einklang mit sich erlebt, was sich positiv auswirkt auf beispielsweise Selbstsicherheit, Klarheit dessen, was man will, Klarheit in Entscheidungen, erlebtem Maß an Freiheit und Ausmaß an Angst. Je besser das Selbstwertgefühl, je weniger Angst und entsprechend mehr Freiheit, um so besser, zielführender und befriedigender sind die Entscheidungen.

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